Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Praxis

Angst lähmt. Sie kann Menschen davon abhalten, gut für sich zu sorgen und Hilfe in Anspruch zu nehmen beziehungsweise zuzulassen. Folgen sind zum Teil erhebliche Einbußen an Gesundheit und Lebensqualität. Patientinnen und Patienten, die Arztbesuche oder bestimmte Behandlungen scheuen, brauchen deshalb eine besondere Ansprache und Begleitung. Dabei gibt es einen Unterschied zwischen Angststörungen in ihren verschiedenen Ausprägungen und den nicht völlig unbegründeten Sorgen, die mental jedoch überproportional viel Raum einnehmen.

Grafik Forsa-Umfrage Angst vor dem Krankenhaus

Grafik: Yurii – stock.adobe.com

Weniger Vertrauen ins System

Ängste sind kein Randphänomen, werden jedoch im Alltag wenig wahrgenommen oder adressiert. So gehen beispielsweise aktuelle Schieflagen im Gesundheitssystem nicht unbemerkt an Patienten und Patientinnen vorbei. Das zeigt das „Edelman Trust Barometer 2023 Special Report: Trust and Health“. Demnach haben Patientinnen und Patienten zwar ein hohes Vertrauen in ihre Ärztinnen und Ärzte (83 %). Jedoch trauen nur 60 Prozent dem Gesundheitssektor als Ganzes zu, generell das Richtige zu tun. Dass Medien richtig mit Gesundheitsthemen umgehen, glauben nur 38 Prozent.

Eine forsa-Umfrage im Auftrag der KKH Kaufmännische Krankenkasse offenbarte im September 2022, dass jeder und jede Vierte in Deutschland Angst vor einem Krankenhausaufenthalt hat. Rund die Hälfte (47 %) begründet ihre Angst damit, Schlechtes gehört zu haben. Fast ebenso viele (46 %) gaben an, selbst negative Erfahrungen gemacht zu haben. Dr. Wolfgang Matz, Vorstandsvorsitzender der KKH, forderte im Zuge dessen: „Es ist jetzt Aufgabe der Politik, die Krankenhauslandschaft zukunftsfähig zu gestalten. Den Investitionsstau der Länder dürfen wir nicht mehr hinnehmen.“

Iatrophobie macht Kranke kränker

Unvorteilhafte politische Entwicklungen sind das eine, individuelle Faktoren das andere. Laut der Deutschen Gesellschaft für Angstforschung (GAF) leiden etwa 15 Prozent der Menschen in Deutschland unter einer Angststörung. Bei einer Angststörung ist es mit der simplen Aufforderung „sich zusammenzureißen“ nicht getan. Die Angst entgleist und kann sich in heftigen körperlichen Symptomen äußern, darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) hin. Wird etwa ein Arztbesuch trotz starker Beeinträchtigungen immer wieder hinausgezögert, so kann eine Iatrophobie zugrundeliegen – eine Arztphobie. Betroffene erdulden aufgrund dieser spezifischen phobischen Störung zum Teil lieber schlimmste Schmerzen, als den Weg in die Praxis zu wagen. Gemäß einer Erhebung des Berufsverbandes der Allgemeinärzte sind etwa zwei Millionen Menschen in Deutschland betroffen. Vorsorgeuntersuchungen werden gescheut; unter Umständen werden lieber alle möglichen und unmöglichen Selbstheilungsversuche unternommen, als zum Arzt zu gehen, sogar bei ernsthaften Erkrankungen. Die gesundheitlichen Baustellen vergrößern sich, es profitieren zum Teil dubiose Anbieter vermeintlicher Heilmittel und Therapien. Die Iatrophobie ist nicht klar definiert und die Grenzen hin zu anderem Vermeidungsverhalten sind bisweilen fließend. Recht weit verbreitet ist die weitaus mildere Weißkittelhypertonie, also ein Blutdruck, der in der Arztpraxis deutlich höher ausfällt als daheim. Sie betrifft rund zehn Prozent der Patientinnen und Patienten, wie eine Studie der Technischen Universität Dresden zeigt. Ein Forscherteam um Dr. Jordana Cohen betont im Annals of Internal Medicine das Risiko einer Überbehandlung bei dieser Patientengruppe, weshalb hier eine Langzeitblutdruckmessung Sinn macht.

Arztphobie
Körperliche Symptome

  • Herzrasen
  • Schwitzen
  • Atemnot
  • Zittern, zittrige Stimme
  • Magen-Darm-Probleme

Psychische und kognitive Symptome

  • Gefühl des Ausgeliefertseins
  • Gefühl des Weglaufen-Wollens
  • erhöhte Erregbarkeit, Reizbarkeit, Aggressivität
  • Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
  • Bewusstseinsstörungen

Anzeichen

  • Erhöhte Nervosität
  • Häufiges, wiederholtes Nachfragen
  • Langes Hinauszögern der Termine
  • Erstarren oder fahrige Bewegungen

Ursachen der Angststörung

Zur Entstehung einer Arztphobie gibt es verschiedene Erklärungsansätze, darunter schlechte Erfahrungen oder verzerrte Erinnerungen aus der Kindheit, etwa durch eine erhöhte Schmerzwahrnehmung. Auch eine allzu ängstliche und überfürsorgliche Reaktion der Eltern kann prägend wirken; insbesondere wenn vermittelt wird, dass ein Arztbesuch eine große Sache oder eine Behandlung etwas Schlimmes ist. Unzutreffende Diagnosen oder unsensible Kontakte mit medizinischem Personal können eine Vermeidungshaltung im Erwachsenenleben verstärken, ebenso wie die Angst vor negativen Folgen einer Untersuchung oder Behandlung: Schmerzen, Nebenwirkungen oder Komplikationen. Hilfreich sind dann Hinweise zu Möglichkeiten des Managements beziehungsweise zum Senken des Komplikationsrisikos. Damit diese Tipps auch ankommen, brauchen erregte Gemüter allerdings erst innere Stabilität. Atemübungen und Entspannungstechniken wie die Progressive Muskelrelaxation können hierbei hilfreich sein. Für Zahlenmenschen kann das vergleichende Einordnen von Risiken nützlich sein. So liegt beispielsweise das Risiko, heutzutage an einer Narkose zu versterben, laut dem Bundesverband für ambulantes Operieren bei etwa 0,008 Prozent. Das Risiko, binnen eines Jahres an einem Autounfall zu versterben, liegt in den USA bei 0,01 Prozent, so eine Analyse der Global Challenges Foundation.

Den totalen Kontrollverlust bei einer Narkose empfinden viele Patienten als beunruhigend. Vergleiche mit Flugreisen oder Busfahren, wo man ebenfalls die Kontrolle an Fremde abgibt, mögen einige beruhigen. Wenn Menschen allerdings in der Vergangenheit traumatisierende körperliche Übergriffe erlebt haben, wird das kaum reichen. Diese Betroffenen profitieren im besonderen Maße von psychotherapeutischer Unterstützung, um ihr Vermeidungsverhalten zu überwinden.

Zehn Prozent sind Nadelphobiker

Phobien verschiedener Art können Menschen davon abhalten, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Da wäre beispielsweise die Mysophobie, eine übersteigerte Angst vor Berührung, Keimen und Ansteckung, die oft mit Waschzwängen einhergeht und während der Pandemie zunahm, wie Prof. Anja Riesel von der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz der Universität Hamburg zu berichten weiß. An der Hochschulambulanz findet neben der Behandlung von Angst- und Zwangsstörungen auch Forschung zu den Grundlagen von Zwangsstörungen statt.

Zu den Hemmnissen eines Arztbesuchs zählen auch die Blut- und Verletzungsphobien, darunter die Hämatophobie (Angst vor Blut) oder die Trypanophobie (Angst vor Spritzen). Grundsätzlich sind diese Phobien gut behandelbar – mithilfe der schrittweisen Konfrontation, vom Gedankenexperiment über Bilder, Videos und virtueller Realität (VR) bis hin zur echten Situation.

Doch nur wenige Betroffene suchen diesen Weg aus eigenem Antrieb. Risiken einer Chronifizierung dieser Phobien sind unter anderem das Fehlen wichtiger Impfungen oder eine unzureichende Behandlung chronischer Krankheiten. Viele Betroffene sehen über Jahre hinweg keine Arztpraxis von innen, wie eine Studie im Behavioural Neurology zeigt. Denn Blut- und Verletzungsphobien können für Betroffene bereits Wochen vor dem Arzttermin zur Tortur werden und für anhaltende Schlaflosigkeit sorgen. In der Praxis kann es beim Anblick der Spritze sogar zur Ohnmacht kommen. Das ist vermutlich evolutionär bedingt, genetische Veranlagungen scheinen hier eine große Rolle zu spielen. Hinzu kommen negative Erlebnisse in der Vergangenheit. Wie die globale Impfallianz Gavi herausgefunden hat, leiden rund zehn Prozent der Menschen unter einer Nadelphobie. Diese Gruppe muss von Menschen, die aus anderen Gründen Impfungen vermeiden (mehr dazu im 2. Teil dieser Fortbildung), abgegrenzt werden.

Wenn eine Blut- und Verletzungsphobie bekannt ist, kann der Ohnmacht unter Umständen vorgebeugt werden, indem die damit zusammenhängenden körperlichen Reaktionen vorab thematisiert werden. Mithilfe angewandter Anspannung kann dann dem Blutdruckabfall gezielt entgegengewirkt werden. Dabei werden Arme, Beine und die großen Muskeln im Brust-Schulter-Bereich rhythmisch angespannt, um die zentralnervöse Blut­zu­fuhr zu verbessern. Wer bereits in der Vergangenheit umgekippt ist, legt sich beim Piks besser hin.

Verstärkt werden solche Ängste durch Vermeidung, je länger, desto mehr. Die mangelnde positive Erfahrung mit Ärztinnen und Ärzten verstärkt im Laufe der Jahre die Angst vor dem Unbekannten.

Wer Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch nimmt, sammelt hingegen in der Regel viele positive Erlebnisse ohne beunruhigende Befunde. Patienten und Patientinnen mit übersteigerten Ängsten sollten auch deshalb in besonderem Maße zur Inanspruchnahme motiviert werden.

Wem vertrauen die Menschen, wenn es um ihre eigene Gesundheit geht?
Quelle: 2023 Edelmann Trust Barometer Special Report
+/- Mar 2022 to Mar 2023 Global Deutschland
% +/- % +/-
Meinem Arzt oder meiner Ärztin 80 3 83 4
Krankenschwestern 79 4 77 10
Apothekern 76 6 77 7
Meinen Freunden und meiner Familie 76 11 81 13
Gesundheitsexperten/-wissenschaftlern 74 1 68 -1
Nationalen Gesundheitsbehörden 64 0 55 -5
Globalen Gesundheitsbehörden 61 0 49 -5
Lehrern 61 48
Gesundheitsbeauftragten meiner Firma 60 52
Meinem Geschäftsführer 56 2 40 -4
Das Vertrauen in Ärzte ist in Deutschland überdurchschnittlich, in die Behörden hingegen unterdurchschnittlich.

Vertrauen bildet die Basis – auch in schwierigen Fällen

Irrationale Ängste halten auf. Mit Geduld und Geschick kommt man dennoch weiter. Berechtigte Ängste, die strukturell bedingt sind, brauchen indes politische Lösungen, im Sinne der kollektiven Gesundheit.

Für Menschen mit übersteigerten Ängsten spielt das subjektive Erleben des Kontrollverlusts eine zentrale Rolle. Erfahrungen von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein können bis weit in die Vergangenheit wurzeln, damalige Emotionen werden durch Elemente der aktuellen Situation reaktiviert. Psychotherapeutische Strategien zielen darauf ab, das Kontrollgefühl durch Selbstwirksamkeit zu stärken; die Verhaltenstherapie setzt auf die stufenweise Exposition. Das erzielt oft gute Erfolge, doch nur wenige Betroffene suchen gezielt Hilfe. Wie also mit ihnen umgehen, wenn sie den Weg in die Arztpraxis finden?

Auch Narzissten haben Angst

Der Mensch sucht gerne nach Rationalisierung seines Verhaltens, auch wenn diesem eine überreaktive Amygdala zugrunde liegt. So werden vermeintlich angstbestätigende Informationen oft verstärkt aufgesogen.

Auf diese Weise entsteht ein Circulus vitiosus. Der Glaube an Verschwörungstheorien verstärkt beispielsweise Ängste, ist jedoch gleichzeitig Ausdruck eines generalisierten Bedrohungsempfindens, wie die Sozialpsychologinnen Prof. Julia Becker und Luisa Liekefett von der Universität Osnabrück auf Basis einer Umfrage darlegen: „Die Personen, die an die Verschwörungstheorien glauben, zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie glauben, in einer bedrohlichen Welt zu leben. Sie können außerdem mit Ungewissheit schlecht umgehen, darum sind ihnen Verschwörungstheorien willkommen, weil sie ihnen durch einfache Erklärungen wieder Kontrolle und Gewissheit zurückgeben. Bezogen auf ihre Persönlichkeit neigen sie eher zum Machiavellismus, was bedeutet, dass sie anderen Menschen gegenüber eher misstrauisch sind…“

Eigenschaften und Verhaltensweisen, die dem politischen Philosophen Niccolò Machiavelli („Der Fürst“) zugeschrieben werden, treten in unterschiedlich starken Ausprägungen und Kombinationen auf. Sie entstehen vermutlich aus einer Kombination von genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen. Ein extremes Streben nach Macht kann etwa durch Lebenserfahrungen begünstigt werden, in denen die Person intensive Ohnmacht beziehungsweise Machtmissbrauch durch andere erlebte. Beim Narzissmus, der bei stärkeren Ausprägungen mit Machiavellismus einhergehen kann, werden Minderwertigkeitsgefühle durch eine Vorstellung der eigenen Grandiosität übertüncht. So kann es passieren, dass Betroffene glauben, sich durch Surfen im Internet rasch ein größeres Wissen angeeignet zu haben als Mediziner.

An Menschen mit machiavellistischen oder stark ausgeprägten narzisstischen Charakterzügen perlen Appelle an die soziale Verantwortung weitgehend ab. Zum Impfen etwa lassen sie sich erheblich besser motivieren, wenn die eigenen Vorteile und der individuelle Nutzen in den Vordergrund gestellt werden, so eine Studie der Oxford University im Lancet Public Health. Nicht immer sind Menschen mit ausgeprägtem Narzissmus oder einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leicht zu erkennen. Sogenannte vulnerable Formen des Narzissmus kommen häufig gut kaschiert daher, auf den ersten Blick wirken Betroffene vielleicht nur etwas unsicher. Doch neben einem Mangel an zwischenmenschlichem Vertrauen bestehen wie beim grandiosen Narzissmus auch bei ihnen eine Fixierung auf das Selbst sowie ein überbetontes Autonomiebedürfnis. Kritik ist schwer handhabbar. Der Angst dieser Patienten und Patientinnen, von den eigenen Gefühlen überrollt zu werden, können Ärzte und Ärztinnen mit einer sachlichen und wo möglich bestätigenden Gesprächsführung begegnen. Hinweise auf ein mangelndes medizinisches Verständnis würden hingegen als tief kränkend aufgefasst werden und einen Rückzug des Patienten begünstigen.

Falschinformationen aufklären

Für den Praxisalltag mit nur leicht verunsicherten Menschen bietet das Robert Koch-Institut (RKI) sogenannte Faktensandwiches für das Impfgespräch. Die Struktur dieser Sandwiches soll Falschinformationen besonders effizient korrigieren. Sie folgt dem Schema „Fakt, Benennung, Aufklärung, Fakt“ (siehe Beispiel). In zusätzlichen Gesprächskarten des RKI wird zudem empfohlen, offen und respektvoll mit Fragen einzusteigen: „Was denken Sie über Impfungen? Was bereitet Ihnen Sorgen?“ Ein aufmerksames Zuhören wird dadurch signalisiert, dass das Gesagte noch einmal mit eigenen Worten zusammengefasst wird.

Fakten-Sandwich

Grafik: Barks_japan/ gettyimages

1. Fakt
Der Schutz von Impfungen ist gut, beträgt aber nicht 100 Prozent.
2. Mythos
Impfungen sind sinnlos, denn sie schützen gar nicht zu 100 Prozent.
3. Erklärung
Einen hundertprozentigen Schutz kann keine derzeit verfügbare Impfung garantieren. Es ist verständlich, dass dies unbefriedigend sein kann. Doch auch viele andere Behandlungen sind nicht zu 100 Prozent wirksam: Die Einnahme von Ibuprofen hilft z. B. auch nicht zu 100 Prozent gegen Kopfschmerzen. Trotzdem vertrauen viele Menschen auf die gute Wirksamkeit des Medikaments, denn in vielen Fällen konnte das Medikament den Kopfschmerz lindern. Ähnlich ist es bei Impfungen: Auch wenn Impfstoffe nicht zu 100 Prozent wirksam sind, heißt das nicht, dass Impfungen grundsätzlich nicht schützen würden. Eine Wirksamkeit von z. B.
90 Prozent gegen die Erkrankung senkt das Erkrankungsrisiko erheblich und schützt eine große Mehrheit der Geimpften.
4. Fakt
Impfen ist sinnvoll, auch wenn der Schutz nicht 100 Prozent betragen kann.

Egal, welche Aspekte zu einer übersteigerten Angst führen: Ein respektvoller Umgang auf Augenhöhe ist Dreh- und Angelpunkt einer gelungenen Kommunikation mit Angstpatienten. Das gilt bereits beim Empfang durch das Praxispersonal. Das Informationsportal arztphobie.com bietet für den Alltag eine Vielzahl praktischer Tipps. So sind Sätze wie „So schlimm ist es nicht“ selten hilfreich. Besser ist es, nach Art und Ursache der Angst zu fragen. Steht die Furcht vor einer schlechten Diagnose im Vordergrund, frühere Erlebnisse oder ein Schamgefühl?

Ein ruhiges, verständliches Gespräch, bei dem der Patient oder die Patientin Notizen machen und Rückfragen stellen kann, vermittelt Sicherheit. Bei Bedarf wird jeder einzelne Schritt in verständlicher Sprache erklärt, gegebenenfalls samt geschätzter Dauer des Eingriffs. Das vermittelt ein Gefühl der Kontrolle. In manchen Fällen können eine humorvolle Bemerkung oder etwas Smalltalk für willkommene Ablenkung sorgen. Hier sollte der Bogen allerdings nicht überspannt werden. Kommt ein Patient mit großer Furcht in die Praxis, könnte er sich durch flapsige Floskeln erst recht nicht ernst genommen und schlecht behandelt fühlen.

Ansprache in der Praxis

Um das Ausmaß der Angst bereits bei der Anmeldung zu erfassen, empfiehlt das Portal arztphobie.com eine visuelle Analogskala im Fragebogen, worauf der Patient oder die Patientin den Grad der Angst auf einem Querbalken markieren kann. So werden auch jene erfasst, die im Gespräch funktional erscheinen möchten. Angstpatienten sollten möglichst kurze Wartezeiten haben, damit sie nicht bereits vor der Behandlung wieder weglaufen. Das Wartezimmer sollte freundlich gestaltet sein und angenehme Ablenkungsmöglichkeiten bereithalten. Auch bequeme Stühle können einen Unterschied machen. Weil Angstpatienten sich oftmals sorgen, im Gespräch Wichtiges zu vergessen, erscheinen sie bisweilen mit Notizen. Diese dürfen wohlwollend entgegengenommen werden – selbst, wenn die Liste bei Menschen, die den Arztbesuch lange hinausgezögert haben, lang und unstrukturiert sein kann. Da Aufregung vergesslich macht, benötigen Patienten mit Ängsten Raum, um auch mehrmals nachfragen zu dürfen und sich gegebenenfalls Notizen zu machen. Nicht fehlen sollte die Bestätigung, mit dem Weg in die Praxis die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Existentielle Ängste bei Migranten

Eine Sondersituation ergibt sich bei einigen Menschen mit Migrationshintergrund. Sie tragen unter Umständen verschiedene Ängste mit sich. Bisweilen gilt es, Sprach- und Kulturbarrieren zu überwinden, wie etwa Schamgefühle wegen Nacktheit oder aufgrund des Geschlechts des behandelnden Arztes. Bei nicht geregeltem Aufenthaltsstatus spielt jedoch auch eine ganz andere, durchaus berechtigte Angst eine Rolle: die Angst vor Abschiebung.

Wie der Verein Ärzte der Welt in der Studie „Ohne Angst zum Arzt“ schreibt, sind Migranten ohne geregelten Aufenthaltsstatus faktisch von der Gesundheitsversorgung in Deutschland ausgeschlossen: „Formal haben sie zwar einen Anspruch auf Behandlung akuter Erkrankungen. Aber sobald sie sich an das Sozialamt wenden, um den dafür erforderlichen Behandlungsschein zu erhalten, droht ihnen die Abschiebung. Denn das Sozialamt ist, wie andere staatliche Stellen auch, durch das Aufenthaltsgesetz dazu verpflichtet, Menschen ohne Papiere an die Ausländerbehörde zu melden. Aus Angst um ihre Existenz meiden Betroffene den Gang zum Arzt, auch bei lebensbedrohlichen Erkrankungen.“

Schätzungen zufolge befinden sich mehrere hunderttausende Menschen in Deutschland in einer solchen Situation. Ein breites Bündnis fordert deshalb eine Gesetzesänderung, darunter die Deutsche Aidshilfe (DAH), die Diakonie und die Arbeiterwohlfahrt (mehr Informationen unter gleichbehandeln.de). Denn die Übermittlungspflicht sei nicht nur ethisch, sondern auch epidemiologisch falsch, erklärt die Deutsche Aidshilfe. So führt das Gesetz bei HIV-positiven Menschen zu lebensbedrohlichen Erkrankungen, zudem drohen weitere HIV-Übertragungen. Die Entscheidung, keine ärztliche Hilfe zu suchen, betrifft nicht nur die Erwachsenen, sondern auch ihre Kinder. Schwangere nehmen Vorsorgeuntersuchungen nicht wahr. Bereits 2018 forderte der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte die deutsche Politik zur Gesetzesänderung auf, damit Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus Gesundheitsdienste beanspruchen können. Aktuell übt zudem die Frauenrechtskommission der UN Druck auf die Regierung aus. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingereicht.

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Die Fortbildung „Patienten mit Arztphobie und anderen Angststörungen behandeln“ ist mit zwei CME-Punkten zertifiziert. Um die CME-Punkte zu erhalten, müssen Sie noch den entsprechenden Wissenstest auf der Online-Fortbildungsplattform MedLearning absolvieren:https://cme.medlearning.de/aw/arztphobie_angststoerungen/index.htm