Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
CME Fortbildungen

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes leben in Deutschland rund 7,8 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung. Rund 1,8 Millionen von ihnen haben eine zerebrale, geistige und/oder seelische Behinderung. Das geht häufig mit einer erhöhten Morbidität einher. Doch die ambulante Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung in Deutschland ist nicht ideal. Studien belegen diagnostische und therapeutische Defizite in der medizinischen Versorgung, aber auch eine geringere Teilnahme an Prävention und Gesundheitsförderung.

Betroffene und Angehörige klagen häufig darüber, dass es nicht einfach sei, einen niedergelassenen Haus- oder Facharzt zu finden, der den gesteigerten Anforderungen an die Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung gerecht wird. Oft benötigen Ärztinnen und Ärzte für die Behandlung dieser Patientinnen und Patienten nämlich mehr Zeit, die ihnen nicht extra vergütet wird. Manchmal ist es schwierig, deren Krankheitssymptome wahrzunehmen und zuzuordnen, Gespräche und Untersuchungen dauern länger. Nicht selten benötigen Ärzte dazu auch die Mithilfe der Angehörigen. Diese müssen den Arztbesuch initiieren, organisieren und begleiten. Arztpraxen sind darüber hinaus nicht immer barrierefrei und vielen Ärztinnen und Ärzten fehlen die praktische Erfahrung und das Fachwissen für spezifische Erkrankungen.

Zu lange Wartezeiten können für Unruhe sorgen

Was braucht es, um Menschen mit geistiger Behinderung ambulant gut zu versorgen? Welches Know-how sollten engagierte Ärztinnen und Ärzte mitbringen? Welche organisatorischen Abläufe in der Praxis haben sich als gut erwiesen, um den Bedürfnissen von Menschen mit geistiger Behinderung und ihren Angehörigen gerecht zu werden? Kurz: Was kann jeder einzelne niedergelassene Arzt tun, damit Patienten mit einer geistigen Behinderung bei ihm in der Praxis gut aufgehoben sind?

Wie Menschen mit geistiger Behinderung den Arztbesuch erleben, welche Barrieren es gibt und welche Aspekte förderlich sind, haben aktuell Forschende der Universitäten Witten/Herdecke und Marburg gemeinsam mit der Ärztekammer Nordrhein in einer Querschnittstudie untersucht.1) Sie liefert wichtige Erkenntnisse darüber, wie niedergelassene Ärztinnen und Ärzte den Arztbesuch für Menschen mit geistiger Behinderung und deren Angehörige noch besser gestalten können. Bislang wurde dieses Forschungsfeld in Deutschland wenig beleuchtet, vor allem Betroffene selbst kamen kaum zu Wort.

Für die Studie wurden Erwachsene mit geistiger Behinderung aus drei Werkstätten in Nordrhein-Westfalen, ihre Angehörigen sowie Hausärzte mittels jeweils eigener Fragebögen befragt. Die Teilnahmerate lag bei 19,3 Prozent von 940 Menschen mit geistiger Behinderung. Die Probanden waren im Mittel 40 Jahre alt und zu 61 Prozent männlich. Rund 42 Prozent wohnten bei Angehörigen, 30 Prozent im Heim und 15 Prozent im Betreuten Wohnen. Rund 68 Prozent wiesen einen Grad der Behinderung von 100 auf, 28 Prozent von 50 bis 95. Die Studie folgte einem dreiphasigen Ablaufmodell zur Inanspruchnahme von medizinischer Versorgung durch Menschen mit geistiger Behinderung. Ergänzt wurde dieses durch die zusätzliche Befragung der Hausärztinnen und Hausärzte. Das sind die Ergebnisse der einzelnen Phasen:

1 Den Behandlungsbedarf erkennen

Da Menschen mit geistiger Behinderung sich nicht immer gut mitteilen können, ist es essenziell zu erkennen, wann überhaupt ein Behandlungsbedarf vorliegt. Aus Sicht aller Angehörigen teilen rund 61 Prozent der Menschen mit geistiger Behinderung ihre Beschwerden immer oder meistens den Angehörigen mit. Nur bei rund 28 Prozent müssen Angehörige Beschwerden selber erfassen, da die Betroffenen dies nie oder selten tun. Dagegen sagen rund 82 Prozent der Menschen mit Behinderung, dass sie sich immer oder meistens mitteilen. Bei den Angehörigen scheint das also nicht immer anzukommen.

Rund 71 Prozent aller Angehörigen gibt an, dass die Betroffenen sich verbal mitteilen. Gesten und Blicke sind bei 39 Prozent Ausdrucksmittel, 22 Prozent vermitteln Beschwerden auch durch Körperreaktionen oder Lautieren. Große Angst vor dem Arztbesuch haben dabei erfreulicherweise die wenigsten: Für 78 Prozent der Betroffenen ist das nie oder selten ein Thema.

Drei Viertel aller befragten Angehörigen sagen, dass sie gemeinsam mit dem Patienten zum Arzt gehen. Zwölf Prozent geben an, dass die betroffene Person keine Wartezeit duldet. Interessant ist dabei auch, dass bei den Angehörigen Vorsorgemaßnahmen der gesetzlichen Krankenkassen wie Krebsfrüherkennung und Check-up 35 sogar besser bekannt sind als in der Allgemeinbevölkerung.

2 So gestaltet sich der Zugang zur Gesundheitsversorgung

Die meisten Menschen mit geistiger Behinderung suchen regelmäßig zwei bis vier Arztpraxen auf. Dabei geben 70 Prozent aller Angehörigen an, dass es schwierig sei, erfahrene Behandler zu finden. Der Weg zum Arzt ist dabei kaum ein Pro­blem, da die Mobilität selten eingeschränkt ist. Positiv wird die rasche Terminvergabe bewertet. 35 Prozent bekommen noch am selben Tag einen Termin, die meisten innerhalb einer Woche. So bewerten auch 82 Prozent der Angehörigen die Zeitdauer zwischen Terminvereinbarung und Arztbesuch als nicht zu lang. Bemängelt wird allerdings von über der Hälfte der Angehörigen, dass Ärzten zu wenig Zeit zur Verfügung stünde. Ein Thema sind auch Wartezeiten in der Arztpraxis. Über 60 Prozent der Angehörigen geben an, zwischen 30 Minuten und zwei Stunden warten zu müssen.

3 Der Untersuchungsablauf in der Praxis

Interessante Erkenntnisse liefern auch die Fragen zum Behandlungsablauf selbst. Das Gute vorweg: 79 Prozent der Menschen mit Behinderung sind mit ihren Ärztinnen und Ärzten zufrieden, über die Hälfte versteht, was diese ihnen sagen, ein weiteres Drittel zumindest teilweise. Verstanden fühlen sich 73 Prozent. Nach dem Arztbesuch geht es 71 Prozent besser.

Schwierigkeiten bei der Diagnostik und Therapie von Menschen mit Behinderung gibt es nach Angaben der Angehörigen vor allem bei Gynäkologen, Zahnärzten und Augenärzten: Hier bestehen vor allem Verständigungsprobleme, Ängste und Unruhe. Bei Frauenärzten treten Ängste mit 20 Prozent am häufigsten auf; zwölf Prozent der Patientinnen weigern sich, hier Untersuchungen durchführen zu lassen. Die Beratung der Patienten mit Behinderung sehen alle Angehörigen am ausführlichsten bei Hausärzten (76,6 %) seltener hingegen bei Orthopäden (58 %).

Insgesamt beurteilen fast 60 Prozent aller Angehörigen die ambulante medizinische Versorgung als sehr gut oder völlig ausreichend. Als besonders gut werden vor allem die Terminabsprachen, die Offenheit im Umgang mit Menschen mit Behinderung und die Beratung bewertet. Die verfügbare Zeit der Ärzte, die Qualität der Diagnostik und die Wartezeit beurteilt nur noch etwa ein Viertel als besonders gut. Ein Teil der Angehörigen bemängelt, in der Praxis nicht ernst genommen oder unhöflich oder respektlos behandelt worden zu sein, ein Drittel hat in den letzten zwölf Monaten kritische Erfahrungen in Praxen gemacht.

Grafik ambulante medizinische Versorgung Behinderter

4 So blicken Hausärzte auf die Behandlung behinderter Menschen

Hier wurden nur die Hausärztinnen und Hausärzte der Menschen mit Behinderung befragt, die an der Studie teilnahmen. Rund 68 Prozent von ihnen geben an, wöchentlich oder täglich berufliche Kontakte zu Menschen mit Behinderung zu haben. Der Anteil dieser Patientengruppe an ihren Praxispatienten beträgt fünf Prozent. Über ein Drittel der Hausärzte betreut Einrichtungen der Behindertenhilfe, wie beispielsweise Wohnheime. Den Mehraufwand für die Behandlung beziffert die Mehrzahl der Ärzte mit bis zu einem Viertel, ein weiteres Drittel sogar mit bis zur Hälfte.

Rund zwei Drittel der Ärzte beschreiben ihre Praxisräume als barrierefrei, über die Hälfte als technisch eingerichtet auf die besonderen Untersuchungsanforderungen. Doch für über die Hälfte der Hausärzte stellt die Untersuchung von Menschen mit geistiger Behinderung eine große zeitliche Inanspruchnahme dar. 95 Prozent bemängeln, dass der erhöhte Versorgungsaufwand nicht adäquat vergütet wird.

90 Prozent der Ärzte fühlen sich in der Behandlungssituation selbst sicher und geben mit 65 Prozent an, die Äußerungen und Anliegen ihrer Patienten immer zu verstehen. 95 Prozent sehen auch bei ihren Praxismitarbeitenden gute Kenntnisse im Umgang mit Menschen mit Behinderung. Fast ein Drittel hat sich spezifisch zum Thema weitergebildet. Über die Hälfte wäre an einer Weiterbildung interessiert, die bestehenden Weiterbildungsangebote halten allerdings viele für nicht ausreichend.

Das können Ärztinnen und Ärzte bei der Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung beachten
  • Praxis barrierefrei gestalten
  • Praxisteam schulen
  • zeitnah einen Termin anbieten
  • Wartezeiten in der Praxis vermeiden, da manche Patienten Angst haben oder unruhig werden können
  • Aufklärungsmaterial in einfacher Sprache bereithalten
  • ausreichend Zeit einplanen, meist dauert der Termin länger als bei anderen Patientinnen und Patienten
  • Zeit für die Anamnese nehmen, mit dem Patienten sprechen, auch auf Lautäußerungen oder nonverbale Sprache achten, bei Schwierigkeiten den begleitenden Angehörigen einbeziehen, in einfacher Sprache mit dem Patienten kommunizieren
  • zuhören, nachfragen, Behandlungs­bedarf ermitteln
  • für eine vertrauensvolle Atmosphäre sorgen
  • keinen Druck ausüben
  • sich wertschätzend verhalten
  • auch über Vorsorgeangebote aufklären
  • Weiterbildung zum Thema Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung absolvieren

1) Wellkamp R., de Cruppé W., Schwalen S., Geraedts M., Menschen mit geistiger Behinderung (MmgB) in der ambulanten medizinischen Versorgung: Barrieren beim Zugang und im Untersuchungsablauf, Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2023 Feb;66(2):184-198

Teil 2:

Bei der Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung gibt es noch Luft nach oben. Was Niedergelassene in der Kommunikation mit diesen Patienten beachten können und welche Herausforderungen die Transition von jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung in die Erwachsenenversorgung bereitet.

Bei der Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung klaffen Anspruch und Wirklichkeit oft auseinander. Eine Querschnittstudie von Forschenden der Universitäten Witten/Herdecke und Marburg gemeinsam mit der Ärztekammer Nordrhein kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass rund zwei Drittel der teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte ihre Praxisräumlichkeiten für barrierefrei halten, über die Hälfte in technischer Hinsicht angepasst an die besonderen Untersuchungsanforderungen von Menschen mit geistiger Behinderung (siehe oben).

Das mag für die teilnehmenden Ärzte zutreffen, doch nicht für die breite Masse. Denn aktuelle Zahlen der Stiftung Gesundheit belegen, dass zwar 48 Prozent aller Arztpraxen über mindestens eine Vorkehrung verfügen, die Barrieren abbaut oder vermeidet. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass über die Hälfte der deutschen Arztpraxen nicht barrierefrei sind. Am meisten tun Arztpraxen inzwischen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, auf Platz eins liegt der stufenlose Zugang zur Praxis. 20 Prozent der Arztpraxen in Deutschland sind für Menschen mit Hörbehinderung eingerichtet, acht Prozent bieten Vorkehrungen für Menschen mit Sehbehinderung. Dagegen finden Menschen mit kognitiven Einschränkungen laut Stiftung Gesundheit nur in 1,5 Prozent der Praxen entsprechende Hilfen.

Behandlungsbedarf des Patienten erfassen

In der Studie der Universität Witten/Herdecke gaben außerdem 90 Prozent der teilnehmenden Ärzte an, sich in der Behandlungssituation bei Patienten mit geistiger Behinderung sicher zu fühlen. 65 Prozent waren der Überzeugung, die Äußerungen und Anliegen ihrer Patienten immer zu verstehen. Dabei sagten nur etwas mehr als die Hälfte der befragten Menschen mit geistiger Behinderung, dass ihr Arzt so mit ihnen spricht, dass sie verstehen, was er sagt. Von ihrem Arzt verstanden fühlen sich rund 73 Prozent. Hier könnten Ärztinnen und Ärzte noch besser darauf achten, verständlich zu sprechen und zu erfragen, was bei ihren Patienten angekommen ist (siehe Kasten). Auch bei der Anamnese können sie noch mehr Wert darauf legen, den Behandlungsbedarf des Patienten zu erfassen. Denn die Studie zeigt auch: Menschen mit geistiger Behinderung geben zu 82 Prozent an, ihre Beschwerden immer oder meistens mitzuteilen, Angehörige sahen das jedoch nur zu 61 Prozent so. Wenn selbst Angehörige nicht immer mitbekommen, was behinderte Menschen an Beschwerden mitteilen, könnte dies den behandelnden Ärzten, die den Patienten weniger gut kennen als die Angehörigen, noch weniger gelingen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich trotz der gefühlten hohen Kompetenz im Umgang mit Patienten mit besonderem Bedarf laut Studie nur ein Drittel der befragten Ärzte spezifisch weitergebildet hat. Hier ist sicher noch Luft nach oben. Die Bundesärztekammer bietet ein anerkanntes Curriculum „Medizinische Betreuung von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung oder mehrfacher Behinderung“ an. Es umfasst einen Grundkurs, bestehend aus zehn Modulen (50 Unterrichtseinheiten), und einem Praxisteil mit 50 Einheiten.

Teilhabe durch gute Kommunikation
Verständliche Sprache ist wichtig, um Menschen mit einer geistigen Behinderung eine Chance auf Gleichstellung zu geben. Verständliches Sprechen (und Schreiben) sollte daher auch in die Medizin einbezogen werden, sofern die Patienten fähig sind, über ihre Beschwerden verbal zu kommunizieren.

Ärzte kommunizieren Expertenwissen, das auf Laien trifft. Schon in einem herkömmlichen Arzt-Patienten-Gespräch können nicht alle Patienten Fachtermini verstehen und einordnen, weshalb Ärzte ihr Fachwissen übersetzen müssen. Das verlangt Ärzten im Praxisalltag kommunikativ viel ab. Denn: Nur ein gut aufgeklärter Patient kann auch wirksam in eine Behandlung einwilligen. Deshalb müssen Ärzte für die Patientenaufklärung verständlich sprechen (§ 630e Abs. 2 Nr. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Das Verstehen ist darüber hinaus nicht nur für die Aufklärung wichtig, sondern auch für die Therapietreue.

In der Kommunikation mit Menschen mit kognitiven Einschränkungen können Ärztinnen und Ärzte in ihrem Praxisalltag folgende Punkte beachten:

  • Sprechen Sie in kurzen Sätzen, bilden Sie keine Nebensätze.
  • Vermeiden Sie Fremdwörter, Metaphern, Ironie und Verneinungen. Dies wird oft nicht verstanden. Statt „Sie gehen heute am besten nicht mehr in die Werkstatt.“ könnten Sie sagen: „Sie bleiben heute zu Hause.“
  • Bitten Sie Ihre Patienten, das Gesagte in eigenen Worten zu wiederholen. So erhalten Sie eine Rückmeldung darüber, was sie verstanden haben.
  • Beziehen Sie Begeleitpersonen als „Übersetzer“ in das Arzt-Patienten-Gespräch mit ein.
  • Arbeiten Sie mit Bildern oder Modellen, um zu veranschaulichen, was Sie meinen.

Die Verwendung Leichter Sprache kann helfen, Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen im Praxisalltag besser einzubinden. Sprechen oder Schreiben in Leichter Sprache klingt zunächst einfach — ist es aber nicht. Ärztinnen und Ärzte müssen es immer wieder üben und reflektieren. Einige einfache Regeln, die das Netzwerk Leichte Sprache in einer Broschüre zusammengestellt hat, können dabei helfen (www.leichte-sprache.org):

  • Benutzen Sie einfache Wörter („erlauben“ statt „genehmigen“).
  • Benutzen Sie Wörter, die etwas genau beschreiben („Bus“ statt „öffentlicher Nahverkehr“).
  • Verzichten Sie auf Fachwörter und erklären Sie schwere Wörter.
  • Benutzen Sie immer die gleichen Wörter für die gleichen Dinge (zum Beispiel immer das Wort „Tablette“ verwenden und nicht zwischen „Tablette“ und „Pille“ wechseln).
  • Benutzen Sie mehr Verben und verzichten Sie auf Nomen.
  • Bilden Sie kurze Sätze und verwenden Sie einen einfachen Satzbau.

Aufklärungsbroschüren oder Flyer können in Arztpraxen auch in Leichter Sprache ausgelegt werden. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hält eine Vielzahl von Broschüren in Leichter Sprache bereit (https://shop.bzga.de/).

Ärzte sollten auch das Praxispersonal schulen

95 Prozent der in der Studie befragten Ärzte sehen auch bei ihren Praxismitarbeitenden gute Kenntnisse im Umgang mit Menschen mit Behinderung. Fast elf Prozent der Angehörigen gaben jedoch an, dass sich in den vergangenen zwölf Monaten Praxismitarbeiter unhöflich und respektlos verhalten hätten. Für 28 Prozent waren die Wartezeiten beim Arzt beziehungsweise im Wartezimmer zu lang. Das zeigt, dass auch in der Praxisorganisation und der Schulung der Mitarbeiter noch Verbesserungsbedarf besteht.

Wer Menschen mit geistiger Behinderung in seiner Praxis behandelt, hat eine Frage der Angehörigen bestimmt schon oft gehört: Wo finden wir einen guten und geeigneten Facharzt? Denn nicht selten ist zum Beispiel eine Mit- oder Weiterbehandlung durch einen Orthopäden oder Lungenfacharzt erforderlich. Wer selbst nicht über ein ausreichendes Netzwerk an Kollegen verfügt, die Menschen mit geistiger Behinderung adäquat versorgen, kann Angehörige auf das Verzeichnis barrierefreier Arztpraxen der Arztauskunft der Stiftung Gesundheit hinweisen (www.arzt-auskunft.de).

Medizinische Zentren für Erwachsene mit Behinderung

Oft treten Angehörige auch mit dem Wunsch an Hausärztinnen und Hausärzte heran, an ein Medizinisches Behandlungszentrum für Erwachsene mit geistiger oder schwerer Mehrfachbehinderung (MZEB) überwiesen zu werden. Das ist jedoch oft gar nicht so einfach.

Neben niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten zählen auch MZEB zur ambulanten Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung. In ihnen werden erwachsene Menschen mit mehrfacher und geistiger Behinderung behandelt. MZEB sind weitgehend barrierefrei. Es gibt sie seit 2015 – inzwischen sind es deutschlandweit über 70. Doch nicht jedes MZEB kann alle Krankheiten und Behinderungsarten behandeln. Und auch nicht alle Menschen mit Behinderung können sich dort behandeln lassen. Die Zugangsbeschränkungen sind zum Teil sehr hoch. Patientinnen und Patienten müssen folgende Voraussetzungen erfüllen:

  • Sie müssen mindestens 18 Jahre alt sein. Jüngere Patientinnen und Patienten mit geistiger Behinderung werden von Sozialpädiatrischen Zentren betreut.
  • Sie benötigen eine Überweisung durch einen niedergelassenen Arzt oder eine Ärztin (zum Beispiel Hausarzt, Internistin, Neurologe, Psychiaterin, Orthopäde).
  • Sie haben einen Grad der Behinderung von mindestens 70. Menschen mit einem geringeren Behinderungsgrad werden regulär von niedergelassenen Fachärzten versorgt.
  • In ihrem Schwerbehindertenausweis muss eines dieser Merkzeichen eingetragen sein: G, aG, H, Bl, Gl.
  • Manche MZEB haben zusätzlich eigene Aufnahme-Voraussetzungen, etwa bestimmte Indikationen. Teilweise legen einzelne Diagnosen fest, wer Aufnahme in einem solchen Zentrum findet.

Ob ein Patient dort behandelt werden kann, hängt also von verschiedenen Faktoren ab. Oft sind doch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte gefragt.

Transition
Wenn junge Menschen mit geistiger Behinderung in die Erwachsenenmedizin wechseln
Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung werden medizinisch in der Regel vom Kinderarzt oder in Sozial­pädiatrischen Zentren behandelt. Wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben, müssen sie in die Erwachsenenversorgung wechseln. Das ist für die jungen Patienten und deren Angehörige ein schwieriger und kritischer Schritt. Denn viele seit Jahren etablierte Strukturen brechen weg und müssen neu aufgebaut werden. Hier gilt es, sich ein neues Netzwerk an Hausärztinnen und Hausärzten, aber auch an anderen Fachärzten für Erwachsene aufzubauen. Nicht selten fehlt diesen aber die Erfahrung in der Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung und ihren Krankheitsbildern. Auch Vertrauen muss oft erst wachsen. Hinzu kommt, dass Angehörige und Patienten mit einer jahrelangen Krankengeschichte neu in die Praxis kommen. Diese Krankengeschichte muss von den neuen Behandlern erst verstanden werden. Hier darf es keinen Informationsverlust geben, denn Lücken in der Behandlung können zu bleibenden Schäden führen. Hinzu kommt, dass in der Erwachsenenmedizin eine engere Taktung herrscht und die Behandlungsatmosphäre oft steriler und nicht so freundlich ist wie in der Kindermedizin. Die Transition ist nicht nur für die Betroffenen herausfordernd, sondern auch für die Ärztinnen und Ärzte. Sie müssen sich überproportional viel Zeit für ihre neuen Patienten nehmen und sich oft nach Feierabend intensiv in die Krankenakte einlesen. Hier wäre ein Transitionskonzept hilfreich, das den Übergang von der Kinder-  in die Erwachsenenmedizin managt. Für einige chronische Erkrankungen wie neuromuskuläre oder kardiologische Erkrankungen gibt es das Berliner TransitionsProgramm. An ihm können Kinder- und Jugendärzte und ihre Patienten mit entsprechender Indikation sowie Erwachsenenärzte teilnehmen. Der Kinderarzt informiert dabei — angeleitet durch das Programm — den weiterbehandelnden Erwachsenenarzt und ermöglicht so über eine Zeitdauer von 1,5 Jahren den Übergang des Patienten in die Erwachsenenmedizin. Allen Beteiligten steht dabei ein Fallmanagement zur Verfügung, das gemeinsame Sprechstunden und Fallkonferenzen organisiert und die Krankenkassen einbindet. Das Programm ist bundesweit einsetzbar (www.btp-ev.de).

A&W CME-Service – jetzt CME-Punkte sammeln

Die Fortbildung „Menschen mit geistiger Behinderung in der Praxis“ ist mit zwei CME-Punkten zertifiziert. Um die CME-Punkte zu erhalten, müssen Sie noch den entsprechenden Wissenstest auf der Online-Fortbildungsplattform MedLearning absolvieren:https://cme.medlearning.de/aw/geistige_behinderung/index.htm