Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Recht

Laut Weltgesundheitsorganisation WHO erlebt weltweit jede dritte Frau im Verlauf ihres Lebens körperliche oder sexuelle Gewalt. Doch viele sprechen nie darüber, weder privat noch im medizinischen Kontext. Viele Frauen gehen nach einer Tat sogar jahrelang nicht zum Arzt, weil sie Angst haben, dass Ärzte die Tat anzeigen könnten. Auch Männer werden Opfer sexueller Gewalt. Sie trauen sich noch viel weniger als Frauen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Dunkelziffer ist hoch. Das trifft auch auf sexuelle Gewalt gegenüber Kindern zu. Die WHO geht davon aus, dass es in jeder Schulklasse ein bis zwei Kinder gibt, die sexuelle Gewalt durch Erwachsene erfahren mussten. Oft erhalten Betroffene nach sexueller Gewalt nicht die richtigen Informationen. Viele glauben, dass sie sich nur dann medizinisch versorgen lassen können, wenn sie eine Anzeige erstatten. Auch Ärztinnen und Ärzte, die selten mit der Thematik befasst sind, kommen bei bestimmten, vor allem rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit sexueller Gewalt leicht ins Schwimmen. Für sie ist es zunächst wichtig zu wissen: Jeder und jede muss nach einer solchen Tat medizinisch versorgt werden, und zwar auch dann, wenn keine Spurensicherung erfolgt. Und: Kein Arzt muss Anzeige erstatten!

Viele Taten geschehen freitag- oder samstagnachts

Die meisten Betroffenen, die sich versorgen lassen wollen, suchen eine Klinik auf oder wenden sich an den Frauen- (oder Männer-)Notruf und nicht zuerst an ihren niedergelassenen Arzt oder ihre Ärztin. Das liegt daran, dass viele Taten freitag- oder samstagnachts passieren. Daher sind Niedergelassene mit Opfern sexueller Gewalt eher in der Nachsorge betraut. Dennoch kann eine sexuelle Gewalterfahrung auch Thema in der Sprechstunde von Allgemeinmedizinern, Internisten, Gynäkologen und sogar Kinder- und Jugendärzten sein. Die Erstversorgung und -betreuung trägt entscheidend dazu bei, wie Betroffene eine sexuelle Gewalttat verarbeiten. Auch wenn viele Niedergelassene zum Beispiel eine vertrauliche Spurensicherung nicht selbst anbieten können, sollten sie Patientinnen und Patienten darüber informieren und an die richtigen Angebote vermitteln können.

Bei sexueller Gewalt sind für den Arzt drei Ausgangssituationen denkbar:

  • Die betroffene Person erstattet Anzeige, die Polizei kommt mit dem Opfer.
  • Die betroffene Person kommt allein und wünscht eine vertrauliche Spurensicherung, eine Anzeige erfolgt gegebenenfalls später.
  • Die betroffene Person will nur medizinisch versorgt werden.

Diese drei Ausgangslagen ziehen unterschiedliche rechtliche Folgen nach sich (siehe auch Kasten unten).

Sexuelle Gewalt
Drei mögliche Grundsituationen für Ärztinnen und Ärzte und ihre Folgen

1. Die betroffene Person erstattet Anzeige, die Polizei kommt mit dem Opfer.

Folge:

  • Keine vertrauliche Spuren­sicherung möglich
  • Spurensicherung im Auftrag der Polizei
  • Behandlung der Verletzungen
  • Wenn der Arzt im Auftrag der Polizei tätig wird, unterliegt er keiner Schweigepflicht

2. Die betroffene Person kommt allein und wünscht eine vertrauliche Spurensicherung, eine Anzeige erfolgt gegebenenfalls später.

Folge:

  • Untersuchung zur Spuren­sicherung in der Praxis, Klinik oder Rechtsmedizin
  • Behandlung der Verletzungen
  • Ärztliche Schweigepflicht besteht

3. Die betroffene Person will nur medizinisch versorgt werden.

Folge:

  • Behandlung der Verletzungen und ärztliche Dokumentation
  • Ärztliche Schweigepflicht besteht

Anzeige hat Auswirkungen auf die ärztliche Schweigepflicht

Der Tatbestand der Vergewaltigung (§ 177 Strafgesetzbuch – StGB) ist ein sogenanntes Offizialdelikt. Das bedeutet, dass zur Verfolgung dieser Straftat kein Strafantrag erforderlich ist. Wenn Polizei oder Staatsanwaltschaft von einer solchen Tat erfahren, nehmen sie von Amts wegen Ermittlungen auf – auch gegen den Willen der oder des Betroffenen. Das bedeutet auch: Wer nach einer Vergewaltigung einmal Anzeige bei der Polizei erstattet hat, kann diese nicht mehr zurücknehmen, er ist nicht mehr Herr des Verfahrens. Die Ermittlungen laufen dann auch gegen den ausdrücklichen Willen des Opfers. Betroffene haben kein Recht mehr zu schweigen. Einzige Ausnahme: Der Täter ist ein naher Angehöriger, dann besteht ein Zeugnisverweigerungsrecht.

Das ist einer der Gründe dafür, wa­rum Betroffene nach einer Vergewaltigung häufig zögern, Anzeige zu erstatten. Oft möchten sie erst darüber nachdenken, wie sie weiter verfahren wollen, sich beraten lassen und etwas Abstand gewinnen. Zudem sind Betroffene oft emotional gar nicht in der Lage, die Straftat im unmittelbaren Anschluss anzuzeigen. Auch hier ist zeitlicher Abstand nötig.

Wichtig: Erfolgt die Untersuchung nach der Tat im Auftrag der Patientin, besteht ärztliche Schweigepflicht. Erfolgt die Untersuchung dagegen im Auftrag der Polizei, besteht keine ärztliche Schweigepflicht. Im Gegenteil, es besteht sogar eine Aussagepflicht für den Arzt. Es ist essenziell, dass Ärztinnen und Ärzte Patienten auf diesen Unterschied hinweisen.
Eine vertrauliche Spurensicherung eröffnet den Betroffenen die Möglichkeit, die Spuren einer Vergewaltigung zunächst zu sichern und später in Ruhe darüber zu entscheiden, ob eine Anzeige erfolgen soll.

Befundbogen richtig ausfüllen und aufbewahren

Den Befundbogen einer Untersuchung müssen Ärzte zehn Jahre lang aufbewahren. Bei einer Anzeige wird er zum Beweismittel. Die Unterlagen müssen daher sicher und unter Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorgaben aufbewahrt werden, sodass keine unbefugte Person Zugriff darauf haben kann. Der behandelnde Arzt kann in einem Strafverfahren wegen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes als Zeuge geladen werden. Dieser Grundsatz bezweckt, dass das Gericht einen möglichst direkten und unmittelbaren Eindruck des zu erforschenden Sachverhalts gewinnt. Daraus resultiert, dass die Vernehmung von Zeugen Vorrang hat vor der Verlesung von Urkunden. Ausnahmsweise kann aber bei Einverständnis aller Prozessbeteiligten der Befundbogen als Urkunde verlesen werden. Von den Gerichten wird dies allerdings unterschiedlich gehandhabt.

Nicht ermitteln, sondern dokumentieren

Bei der Befunderhebung sollten Ärzte leserlich schreiben. Das kann eine spätere Zeugenladung entbehrlich machen. Dabei sollten sie daran denken, dass der Befundbogen in einem Strafverfahren von Nichtmedizinern gelesen wird. Sie sollten möglichst keine medizinischen Abkürzungen verwenden. Versteht der Richter etwas nicht, wird er den Arzt sonst als Zeugen laden. Wenn Ärzte Angaben zum Ereignis machen, gilt der Rat: lieber kurz fassen und sachlich halten. Ärzte sollen nicht ermitteln, den Täter überführen oder das Opfer vernehmen, sie sollen dokumentieren und versorgen. Zu viele Ausschmückungen bergen das Risiko, später im Widerspruch zu anderen Aussagen zu stehen. Der Befundbogen wird im Verfahren auch der Verteidigung des Täters bekannt und gerne genutzt, um auf angebliche Widersprüche hinzuweisen. Wichtig: Ist die Untersuchung nicht im Auftrag der Polizei erfolgt, muss und darf der Arzt den Befundbogen nur herausgeben, wenn die Patientin den Arzt von der Schweigepflicht entbindet. Bis es zu einem Prozess kommt, kann es allerdings bis zu zwei Jahre dauern.

Was Ärztinnen und Ärzte betroffenen Personen juristisch noch mit auf den Weg geben können, ist die Sicherheit: Kein Arzt darf eine Anzeige gegen den Willen der Betroffenen erstatten. Auch hier gilt die ärztliche Schweigepflicht. Auch Familienangehörige erfahren aus diesem Grund vom Arzt nichts von der Tat, was die Betroffenen zusätzlich schützt. Die ärztliche Schweigepflicht gilt auch gegenüber anderen Ärzten. Entbindet die betroffene Person ihren Arzt nicht von der Schweigepflicht, darf dieser auch im Strafverfahren nichts sagen. Etwas anderes gilt allerdings immer dann, wenn die Spurensicherung im Auftrag der Polizei erfolgt ist. Hier besteht für den Arzt keine Schweigepflicht, sondern sogar eine Aussagepflicht. Es ist immens wichtig, dies den Betroffenen deutlich zu machen.

Juristen raten Betroffenen dazu, sich vor einer Anzeige rechtlich beraten zu lassen. Die Kosten dafür kann nach vorheriger Absprache etwa die Opferschutz-Organisation Weißer Ring übernehmen (Opfertelefon: 116 006).

Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche
Kein Arzt darf gegen den Willen einer von sexueller Gewalt betroffenen Person eine Anzeige erstatten, auch nicht bei Minderjährigen. Er kann aber das Jugendamt informieren. Es besteht bei Jugendlichen auch keine unbedingte Informationspflicht der Eltern. Auch Minderjährige (und Betreute) können den Arzt von der Schweigepflicht entbinden. Dies hängt entscheidend von ihrer Einsichtsfähigkeit ab, die der Arzt individuell prüfen muss. Bei Jugendlichen wird diese etwa ab Vollendung des 15. Lebensjahres angenommen. Bei sexueller Gewalt gehört für eine Schweigepflichtentbindung auch eine Aufklärung darüber dazu, was der Arzt in diesem Fall alles aussagen muss. Minderjährige finden in der Regel erst ab einem Alter von 14 Jahren alleine den Weg in eine Sprechstunde.

Vertrauliche Spurensicherung und sensible Kommunikation

Die vertrauliche Spurensicherung ermöglicht es Betroffenen, selbstbestimmt mit den Folgen der Tat umzugehen. Doch viele Niedergelassene können sie nicht selbst anbieten. Wohin Sie Betroffene weiterleiten können, wie Sie sich und Ihre Praxis auf Gewaltopfer vorbereiten und professionell und sensibel agieren.

Die vertrauliche Spurensicherung bietet Betroffenen die Möglichkeit, die Spuren der Tat zunächst „vertraulich“ sichern zu lassen und zu einem späteren Zeitpunkt darüber zu entscheiden, ob sie Anzeige gegen den oder die Täter erstatten wollen. Das heißt, die gewonnenen Beweismittel werden erst einmal fachgerecht auf Kosten des Staates verwahrt, meist in der Rechtsmedizin. Erst wenn die betroffene Person tatsächlich Anzeige erstattet, werden sie ausgewertet. „Vertraulich“ ist die Spurensicherung deshalb, weil sie ohne Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden in einem geschützten Rahmen stattfindet und die Daten des oder der Betroffenen auch nicht an die Behörden oder die Krankenkasse übermittelt werden. Ano­nym ist die vertrauliche Spurensicherung aber nicht. Denn es ist obligatorisch, die Gesundheitskarte einzulesen und die gewonnenen Erkenntnisse unter dem Namen des Patienten zu dokumentieren.

Doch noch immer wissen viel zu wenig Betroffene von dieser Möglichkeit. Die vertrauliche Spurensicherung ist allerdings nur möglich, wenn die Sicherung der Spuren 24 bis maximal 72 Stunden nach der Tat erfolgt. Häufig findet sie in darauf spezialisierten Krankenhäusern oder bei der Rechtsmedizin statt. Der Arzt oder die Ärztin, die die Spuren sichert, sollte forensische Kenntnisse mitbringen und in der Sicherung von Beweismitteln geschult sein. Nicht immer verfügen die Praxen vor Ort über ausreichende Erfahrung im Umgang mit Gewaltopfern, was auch daran liegt, dass die Anzahl der Fälle für den einzelnen Niedergelassenen so gering ist. Die vertrauliche Spurensicherung sollte mit einem Spurensicherungs-Kit und anhand eines Dokumentationsbogens erfolgen. Dabei gilt: Untersucht wird vom Scheitel bis zur Sohle. Hilfreich ist es, sich von einem Dokumentationsbogen durch die Untersuchung leiten zu lassen. Es geht im Notfall aber auch ohne. Wichtig ist, dass die Mindestanforderungen an die Dokumentation gewahrt bleiben. Ärzte sollten dabei darauf achten, zu dokumentieren, nicht zu interpretieren oder zu bewerten.

Ärzte benötigen forensische Grundkenntnisse

Eine große Rolle bei der Spurensicherung spielen auch Fotos, da sie vor Gericht in Augenschein genommen werden können und somit wertvolle Beweismittel darstellen. Fotos dürfen selbstverständlich nur mit der Einwilligung der Betroffenen gemacht werden. Bei Fotos von Hämatomen und Verletzungen empfiehlt es sich, zunächst eine Aufnahme der Region zu fertigen, anschließend eine Nahaufnahme, bei der man eine Farbskala mit Zentimeterangaben anhält. So lassen sich Größe und Alter der Verletzungen besser einschätzen. Das Speichermedium sollten Ärzte nach der Spurensicherung aus der Kamera nehmen und zum Dokumentationsbogen geben.

Das Spurensicherungs-Kit wird anschließend an die Rechtsmedizin geschickt. Befundbogen und Fotos behält der Arzt bei sich. Er sollte die Betroffenen darauf hinweisen, dass eine Auswertung der Spuren nur erfolgt, wenn sie Anzeige erstatten. Das gilt auch für eine toxikologische Untersuchung, zum Beispiel beim Verdacht auf K.-o.-Tropfen. Viele Betroffene möchten gerne zunächst das Ergebnis eines solchen Verdachts abwarten, bevor sie sich entscheiden, Anzeige zu erstatten. Doch das geht nicht. Wer ohne Anzeige eine Untersuchung wünscht, muss diese selbst bezahlen.

Krankenkassen wollen Schädiger in Regress nehmen

Um die Schweigepflicht zu stärken und die Betroffenen umfassender zu schützen, haben Ärzte seit 2017 bei sexueller Gewalt im Rahmen ihrer Abrechnung keine Mitteilungspflicht mehr gegenüber den gesetzlichen Krankenversicherungen. Das regelt § 294a Absatz 1 Satz 3 SGB V. Krankenkassen sind oft bestrebt, bei von Dritten verursachten Gesundheitsschäden den Schädiger in Regress zu nehmen. Das führte nicht selten dazu, dass von sexueller Gewalt Betroffene nach dem Aufsuchen eines Arztes oder Krankenhauses von ihrer Krankenversicherung einen Unfallbogen zugesandt bekamen. Das stellt für sie eine zusätzliche psychische Belastung dar. Lebt der Täter am selben Wohnsitz, kann die Gewalt sogar eskalieren.

Die Gefahr ist mit dem Ende der Mitteilungspflicht nicht ganz gebannt. Denn nach wie vor kann die Verwendung bestimmter ICD-10-Codes den Kassen Anhaltspunkte für fremdverursachte Gesundheitsschäden liefern. Hierunter fallen auch die sogenannten Gewalt­diagnosen. Inwieweit Krankenversicherungen nach der Gesetzesänderung im Sinne des Opferschutzes von der Versendung von Unfallbögen absehen, ist unterschiedlich. Das führt dazu, dass Ärzte in der Abrechnung Gewaltdiagnosen manchmal auslassen und durch Diagnosen ersetzen, die im Hinblick auf ein mögliches Regressverfahren als unproblematisch gelten. Das ist im besten Fall kreativ, im schlechtesten Fall inkorrekt bis illegal. Manche Ärzte sehen dies im Sinne des Opferschutzes aber als nicht anders umsetzbar an.

Als Praxis auf Opfer sexueller Gewalt vorbereitet sein

Ein wichtiger Baustein für einen reibungslosen Ablauf in der Betreuung von Patienten mit sexuellen Gewalterfahrungen ist es, dass die Praxis auf deren Eintreffen vorbereitet ist. Das Praxispersonal sollte daher entsprechend sensibilisiert und geschult sein. Kündigt sich jemand telefonisch an, sollten die Mitarbeitenden am Empfang den Hinweis geben, dass er oder sie nach Möglichkeit mit einer Begleitperson in die Praxis kommen soll, und einen zeitnahen Termin anbieten. Anschließend sollten alle Mitarbeitenden der Praxis über diesen Termin informiert werden.

Praxismitarbeitende und Ärzte sollten die Patientin nach ihrer Ankunft in der Praxis nicht warten lassen und in einem freien Sprechzimmer platzieren. Bei Eintreffen sollte die Chipkarte eingelesen werden. Hier kann es zu Irritationen kommen, weil manche Patientinnen das nicht möchten – sie wollen anonym bleiben. Hier ist es wichtig, die Patientin darüber aufklären, dass trotz des Einlesens der Karte keine Informationen über die Tat an die Krankenkasse gehen. Sollte eine Patientin sich trotzdem weigern oder über keine Krankenversicherung verfügen, müssen Ärzte eine individuelle Lösung finden.

Die telefonische Übermittlung von Befunden im Nachgang sollte durch den Arzt persönlich erfolgen und nicht durch das Praxispersonal. Falls die Patientin zur Nachuntersuchung kommt, sollte sie darauf hingewiesen werden, den Impfpass sowie den Arztbrief aus dem Krankenhaus mitzubringen, falls die vertrauliche Spurensicherung und/oder Versorgung dort erfolgte. Ärzte, die eine vertrauliche Spurensicherung selbst in der Praxis vornehmen, sollten ein Spurensicherungs-Kit mit entsprechendem Dokumentationsbogen vorhalten.

Sensible Gesprächsführung besonders wichtig

Im direkten Kontakt mit der Patientin ist besondere Sensibilität erforderlich. In einem Vorgespräch sollten Ärzte die Patientin über die Möglichkeit der vertraulichen Spurensicherung sowie ihre Schweigepflicht aufklären. Sie sollten herausfinden, ob eine Frau eine vertrauliche Spurensicherung wünscht oder nur eine medizinische Versorgung. Dabei sollten sie nicht drängen und nicht werten. Es ist allein die Entscheidung der Frau. Allerdings sollten sie von Anfang an die zeitliche Komponente im Auge behalten. Eine vertrauliche Spurensicherung nach sexueller Gewalt sollte spätestens 72 Stunden nach der Tat erfolgen.
Wünscht die Patientin die vertrauliche Spurensicherung, kann der Arzt oder die Ärztin über den Ablauf der Untersuchung aufklären. Da viele Niedergelassene die Beweissicherung nicht selbst durchführen können oder wollen, sollten sie wissen, an welchem Krankenhaus vor Ort die Untersuchung angeboten wird oder welche Rechtsmedizin zuständig ist. Hier ist es wichtig, bereits auf Informationen und Strukturen zurückgreifen zu können, die in einem digitalen Ordner oder einer analogen Mappe hinterlegt sind. Das Netzwerk muss bereits vor einem möglichen Fall stehen. Informationen liefert zum Beispiel der Frauen- oder Männernotruf vor Ort (nützliche Adressen finden Sie unten am Beitragsende).

Geklärt werden sollte außerdem, wie die Betroffene zur vertraulichen Spurensicherung kommt und wer sie dorthin begleitet. Am Ende des Gesprächs sollte der behandelnde Arzt oder die Ärztin der Patientin Respekt dafür aussprechen, dass sie den Weg in die Sprechstunde gefunden hat. Ein Termin für die Nachsorge sollte in zwei Wochen, nach zwei Monaten sowie nach sechs Monaten erfolgen – in der Regel bei einem Gynäkologen. Zu bedenken sind auch eine mögliche Schwangerschaft, eine Infektionsdiagnostik beziehungsweise Impfungen und gegebenenfalls eine HIV-Postexpositionsprophylaxe. Konsultationen nach sexueller Gewalt stellen für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte Ausnahmesituationen dar. Dennoch ist es wichtig, nicht emotional zu reagieren, sondern professionell zu handeln.

Gewalt gegen Männer
Gewalt gegen Männer ist noch stärker tabuisiert als Gewalt gegen Frauen. Ein echter Mann lässt sich doch nicht verprügeln lautet die landläufige Meinung. Doch auch Männer werden Opfer häuslicher Gewalt, auch Männer können sexualisierte Gewalt erleben. Ärzte sollten sensibilisiert sein, auch bei Männern auf Spuren von Gewalt zu achten. Derzeit existieren bundesweit neun Einrichtungen mit 29 Plätzen für Männer und ihre Kinder, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Die Einrichtungen befinden sich in Augsburg, Dresden, Düsseldorf, Köln, Leipzig, Nürnberg, Oldenburg, Plauen und Stuttgart. Weitere Einrichtungen sind in Planung (Stand November 2022).

Nützliche Adressen und Angebote

soforthilfe-nach-vergewaltigung.de:
Die Seite hilft bei der Suche nach einem Krankenhaus für die vertrauliche Spurensicherung (nur für Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsen).

frauenrechte.de:
Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes hält auf ihrer Internetseite eine Übersicht bereit, wo die vertrauliche Spurensicherung kostenlos möglich ist (www.frauenrechte.de, Suchwort: Vertrauliche bzw. anzeigenunabhängige Spurensicherung in Deutschland).

frauen-gegen-gewalt.de:
Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland. Hier finden Ärzte bundesweite Hilfs- und Beratungseinrichtungen.

gobsis.de:
iGOBSIS, intelligentes Gewaltopfer-Beweissicherungs- und -Informationssystem, ein Informationssystem für Ärztinnen und Ärzte zur Versorgung von Gewaltopfern. Es führt Ärzte durch Diagnose, Dokumentation, Spurensicherung und psychosoziale Weiterleitungsangebote.

dagnae.de:
Deutsche Arbeitsgemeinschaft ambulant tätiger Ärztinnen und Ärzte für Infektionskrankheiten und HIV-Medizin e. V. Hier können niedergelassene Ärztinnen und Ärzte bundesweit nach einer Schwerpunktpraxis für eine HIV-Postexpositionsprophylaxe suchen.

dstig.de:
Deutsche STI-Gesellschaft, Gesellschaft zur Förderung der Sexuellen Gesundheit. Sie liefert wichtige Informationen zur Prophylaxe bei sexuell übertragbaren Krankheiten.

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